High Five,
Am Montag hatte ich Reisekummer. Das habe ich immer, wenn ich von einer besonderen Reise zurückkomme. Es fühlt sich ein bisschen an wie nach einer Sommerliebe: Man hat etwas oder jemanden kennengelernt, das Herz schlägt noch voller Eindrücke und dann ist plötzlich wieder alles normal. Nur man selbst ist irgendwie noch nicht ganz da.
Ich saß im Zug von der Schweiz zurück nach Deutschland, hörte traurige Lieder und war so richtig melancholisch. Hinter mir lag eine magische Zeit in Zürich und meine 20. Reise mit meinem Wanderfreund Dirk.
Seit zwanzig Jahren ziehen wir einmal im Jahr zusammen los. Wir waren schon in Bhutan, China, Albanien, Schottland, im Sauerland, in der Sächsischen Schweiz, ganz oft in Italien – und jetzt eben in der Schweiz.
Diesmal haben wir uns gefragt: Warum funktioniert das eigentlich so gut mit uns beiden? Was ist das Geheimnis von zwanzig gemeinsamen Touren?
Wir haben darüber gesprochen und elf Dinge aufgeschrieben. Ich teile sie heute mit euch. Vielleicht ist etwas dabei, das ihr für eure eigenen Freundschaften, Reisen oder kleinen Auszeiten mitnehmen könnt.
1. Alles im Sinne des Teams
Irgendwann weiß man, was das Team braucht. Für uns sind es viele Berge und ein bisschen Stadt. Dirk mag es nicht zu heiß und nicht (mehr) zu weit weg. Ich brauche keine Schneestürme und nach drei Tagen einen Cappuccino. Wir fragen uns: Was ist zusammen super? Was ist unser kleinster gemeinsamer Nenner?
2. Ein Reiseplan ist nur eine Option
Je länger wir unterwegs sind, desto unwichtiger werden die Ziele. Für ferne Touren braucht es Planung, Visa, manchmal einen Guide, darum meiden wir sie gerade eher. Oft suchen wir nur ein Zeitfenster und eine grobe Richtung. Wo es genau hingeht, entscheidet sich meist erst vor Ort.
3. Die Münze entscheidet
Wenn wir uns dann mal nicht entscheiden können, wo es hingeht, werfen wir eine Münze. Und das gilt dann. Einmal haben wir’s nicht gemacht und sind in ein gewaltiges Unwetter geraten. Seitdem sind wir, was die Münze betrifft, religiös.
4. Offen sein für jeden Komfort
Wir haben in schimmeligen Hütten, eisigen Verschlägen, auf einem Boot, im Luxushotel, im wackligen Zelt, im Kloster, beim Fürsten der Finsternis und in Privatwohnungen geschlafen. Gerade die Mischung macht es. Herrlich ist es, mit den dreckigsten Wanderklamotten ungeduscht ins Luxushotel zu gehen. Dort endet das Abenteuer jedoch an der Rezeption – beim Fürsten der Finsternis fängt es da erst an.
5. Skippt die Sehenswürdigkeiten
Von allen Sehenswürdigkeiten erinnere ich mich nur an die Chinesische Mauer.
Wenn alle rechts zum Wasserfall abbiegen, laufen wir links. Ist meistens interessanter.
6. Gemeinsam über Eigenarten lachen
In Dirks Augen bin ich ein „Warmduscher“, weil ich es gerne komfortabel mag.
Er ist „Karg Rudolph“, weil er der leibhaftige Protestant ist. Wir hatten Reisen, auf denen wir beide ständig am Telefon wegen Deadlines und anderen beruflichen Verpflichtungen hingen. Daraus wird aber kein Vorwurf, sondern ein Gesprächsthema und bestenfalls ein Scherz auf unsere Kosten gemacht.
7. Themen werden aufgeteilt
Eigentlich wandern wir nicht, wir machen „Laberyoga“, wie Dirk sagt.
Die Hälfte des Tages wird durchgequatscht. Manchmal beginnt eine Tour erst um 11.00 Uhr in der Mittagshitze, weil wir so lange gefrühstückt und uns verquatscht haben. Über das Jahr sammeln wir Themen, die wir dann Tag für Tag besprechen. Statt Routen, schicken wir uns vorab schon mal Stichwörter. Am schönsten ist es, wenn am letzten Abend noch ein echter Gesprächs-Hit kommt, den der andere bis dahin aufgehoben hat.
8. Akzeptiert das Alter
Als wir anfingen, war ich Mitte zwanzig, Dirk vierzig. Wir hatten Energie für zehn, tranken gern etwas, waren wie die Rattenfänger von Hameln — selten allein unterwegs. (Einmal wollten wir sogar mit kleinen Gitarren losziehen und Hüttenkonzerte geben.) Heute treten wir nicht mehr durch die Hecke, sondern entspannen allein in der Dampfsauna und gehen um 23 Uhr nüchtern ins Bett. Eine Zeit lang haben wir die „good old times“ vermisst – inzwischen akzeptieren wir: Das Rattenfänger-Mojo ist verflogen, wir sind älter. Und das ist okay.
9. Alle Rechnungen werden 50/50 geteilt
Egal ob ich 20 Cappuccini trinke oder Dirk 5 Steaks isst – es wird einfach 50/50 geteilt. Fertig.
10. Neue Ziele und feste Verabredung
Die Liste an Zielen ist lang. Anfangs haben wir uns noch bewusst vor der Heimfahrt fürs nächste Jahr verabredet. Inzwischen wissen wir: Das muss einfach sein.
Einmal sind wir, weil das Jahr so voll war, kurz vor Weihnachten noch schnell durchs Sauerland gelaufen. Es war eine großartige Reise.
11. Never change a winning team
Über die Jahre wollten immer mal Freunde, Ex-Freundinnen und Ehefrauen mitkommen. Wir haben es probiert, waren aber froh, wenn wir wieder unser Tempo, unsere Themen und Eigenarten nur für uns hatten.
AUS DEM HOTEL
Ilko-Sascha Kowalczuk hat eingescheckt. Er ist Historiker und Autor. Wir haben viel über Ostdeutschland gesprochen – über Freiheit und Unfreiheit. Ein zentraler Gedanke von ihm: Viele Menschen in der DDR wollten zwar weg, aber das bedeutete nicht zwangsläufig, dass sie in der Bundesrepublik ankommen wollten.
MEINE HIGH FIVES! AUS DER SCHWEIZ
1. Ein paar Hotels
Wir haben uns im 25hours in Zürich in der Langstrasse wieder sehr wohl gefühlt. Man ist schnell überall, kann sich Fahrräder leihen, die Menschen, die da arbeiten sind sehr hilfsbereit. Auf unserer Wanderung durch das Unterengadin waren wir Kuchen essen im Ottomesi, die hatten leider keine Zimmer mehr, das Haus sah aber sehr einladend aus. Richtig gut gegessen und geschlafen haben wir auf dem Hof Zuort. Das ist recht abgelegen, bei Bedarf wird man auch abgeholt. Wenn die Welt untergeht, ist das ein Ort, um sich zu verstecken.
2. Ein paar Restaurants
In Zürich gibt es viele gute Restaurants. Im Gül gibt es reichlich und köstliches türkisches Essen, im Fischer´s Fritz am Zürichsee haben Bill und Tom Kaulitz schon ihren Geburtstag gefeiert, dort sollte man unbedingt Fischknusperli essen. Im Charlatan - gegenüber vom 25hours Hotel - kann man leckere Zitronen-Ravioli essen und danach aus Versehen tanzen. Das Charlatan ist nämlich eine Restodisco. Die Kronenhalle ist legendär und teuer. Dort kann man Kunst sehen, Geschnetzeltes essen und manchmal Martin Suter treffen. In allen Restaurants gibt es auch sehr gute vegetarische Gerichte.
3. Ein bisschen Planschen
Die Schweiz hat wahnsinnig viele herrlichste Seen und Flüsse. Wir mochten es im Freibad Enge am Zürichsee und an der Limmatt. An einem Tag habe ich eine Autotour um den Vierwaldstätter See gemacht, was auch großartig war.
4. Ein Ausflug
Wir waren im Unterengadin wandern und boah war das schön. Alte, oft verzierte Häuser mit dicken Mauern, kleine Ortschaften, immer hört man etwas fließen oder zwitschern, riecht und sieht etwas Blühendes und meistens ist man sogar allein. Scuol ist ein guter Ausgangsort für allerlei Wanderungen.
5. Ein Zitat
Das Gegengift zu Einsamkeit ist nicht das wahllose Zusammensein mit irgendwelchen Leuten. Das Gegengift zu Einsamkeit ist Geborgenheit.
— Benedict Wells
Danke für die vielen Vorschläge für die Sommerfrische letzte Woche.
Für alle Berliner: Morgen bin ich mit Joana Mallwitz und ihrem Orchester im Konzerthaus und am 12.07. in Hamburg mit Judith Rakers.
Habt ein schönes Wochenende.
✌🏻
Euer Matze
Was für eine schöne Zusammenfassung dieser Freundschaft. Fein geschrieben. Danke für die Einblicke. Liebe Grüße